Beruft sich auf Verfassung statt auf Leitkultur: die Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor. Foto: Kerstin Balks

„Gesellschaft wird bunter werden“

Islamwissenschaftlerin Kaddor zu Gast in Bad Essen

Sie wird gehört, wenn es um Migration und Integration geht, und ist Gast vieler Talk-Shows: Auf Einladung von Bürgerstiftung, Wiehen-Buchhandlung und OK! Bad Essen kam die Islamwissenschaftlerin und Autorin Lamya Kaddor zu einer Lesung mit Diskussion ins Veranstaltungszentrum Schafstall.

„Die Zerreißprobe“ ist der Titel ihres bei Rowohlt erschienenen Buches, in dem sie darlegt, dass weniger das Fremde oder die Fremden, denn die Angst davor unsere Demokratie bedroht. Statt einer Definition, was den deutsch sei und was unsere Leitkultur ausmache, wie es Innenministier Thomas de Maizière kürzlich in der Bild am Sonntag mit seinem Zehn-Punkte-Katalog getan hat, sieht Kaddor vor allem das Grundgesetz und den daraus sich ableitenden Kanon demokratischer Werte, Rechte und Freiheiten als identifikationsstiftende Konstante.

Nationalität und Heimatgefühl

Als Kind syrischer Eltern 1978 in Deutschland geboren, hier aufgewachsen und ausgebildet, empfindet sie sich durchaus als Deutsche, „als was auch sonst?“, wie sie selber sagt. Denn Nationalität sieht sie nicht an Blut gebunden. „Der Gedanke, dass Herkunft vererbt wird, ist unrealistisch geworden“, sagt sie und wirft die interessante Frage auf, ob Hugenotten oder Ruhrpolen demnach überhaupt deutsch sein könnten, und wenn ja, ab welcher Generation. Auch Heimatgefühl lasse sich nicht mit Nationalität koppeln, eher mit einem Landstrich und mit einer Mentalität.

„Die Gesellschaft wird bunter werden. Und wir sollten dazu stehen“, lautet der Rat der Verfechterin eines klaren Verfassungspatriotismus. Umgekehrt bedeute das aber auch, dass jeder, der gegen diese Verfassung verstoße, „im Diskurs werden oder mit den Mitteln des Rechtsstaates“ gestellt werden müsse. Ängsten vor einer schleichenden Islamisierung und dem Untergang des christlichen Abendlandes durch Zuwanderung hält sie entgegen, dass es nicht weniger Christen, gebe, nur weil die Zahl der Muslime zunehme.

Allerdings hält sie die Beherrschung der deutschen Sprache, Kenntnisse der deutschen Geschichte und ihrer Persönlichkeiten, politischer Zusammenhänge, der Geografie unseres Landes und auch den achtsamen Umgang mit seiner Natur für unabdingbar, um Teil dieser Gesellschaft zu sein. Auf eine emotionale Bindung komme es an, die aber durchaus auch über gemeinsame Feste, ja warum nicht auch über Fußball gelingen könne.

Angebote statt Radikalismus

Sich inmitten zweier Kulturen gleichermaßen als Teil der Mehrheit wie auch der Minderheit begreifend, weiß sie, wie schwierig dieses Spannungsfeld gerade für Jugendliche sein kann. Gerade in einer Lebensphase, in der die Identität noch nicht gefestigt sei, mache anfällig für Radikalismus. Hier müsse die Gesellschaft attraktive Angebote – vor allem in der Bildung – für junge Menschen machen, statt zwischen den Aufforderungen „integriert euch“ und „verschwindet“ zu lavieren. Harte Worte? Oder Sarkasmus, wie ein syrischer Zuhörer meinte Die Entgegnung Kaddors, die ob ihrer Ansichten immer wieder Anfeindungen bis hin zu Morddrohungen ausgesetzt ist: „Man muss es wohl mit Humor nehmen, sonst wird man verrückt.“

von Kerstin Balks (Foto und Text) , veröffentlicht am 14.05.2017, mit freundlicher Genehmigung des Wittlager Kreisblattes

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