Talk mit Constantin Schreiber

Kenner der arabischen Welt: Journalist und Autor Constantin Schreiber. Foto: Kerstin Balks
Kenner der arabischen Welt: Journalist und Autor Constantin Schreiber. Foto: Kerstin Balks

 

ARD-Redakteur zu Gast in Bad Essen

Der Journalist und Autor Constantin Schreiber war auf Einladung von Bürgerstiftung und Ok! Bad Essen zu Gast im Bad Essener Schafstall, im Gepäck sein Buch „Marhaba, Flüchtling!“ Aus der angekündigten Lesung, zu der auch zahlreiche Flüchtlinge erschienen waren, wurde ein Talk – mit interessanten Einschätzungen des Nahost-Experten und Kenners des Berliner Politikbetriebes.

Constantin Schreiber spricht fließend arabisch. Als Jugendlicher verbrachte er geraume Zeit bei einer christlichen Familie in Damaskus. Später führte ihn seine journalistische Tätigkeit nach Beirut, den Tschad, nach Dubai, Somalia und Ägypten. Für den Sender n-tv produzierte Schreiber, der seit Anfang des Jahres der ARD-Nachrichtenredaktion angehört, die Reihe „Marhaba, Flüchtling!“, an der sich sein gleichnamiges Buch orientiert. Im Dialog mit arabischen Flüchtlingen wird darin erklärt, wie Deutschland tickt, wie Flüchtlinge, aber auch die arabische Welt, unsere Werte und Lebensart sehen und wie sich ihr Deutschlandbild von unserem Selbstverständnis unterscheidet. Dabei, so Schreiber, sei schnell klar geworden, dass ein allgemeingültiger Erklärungsversuch für unser Land mit seinen regionalen Besonderheiten schwierig sei. Umgekehrt handele es sich auch bei „den Flüchtlingen“ nicht um eine homogene Masse – allein 10 bis 15 Prozent der Syrer seien Christen. Und: Viele syrische Flüchtlinge hätten ein weitaus offeneres Welt- und Frauenbild als mancher Türke, der in Deutschland geboren und aufgewachsen sei.

Problem ausgelagert

Trotzdem in Gemeinden wie Bad Essen mit überschaubarer Größe und ausgeprägtem bürgerschaftlichen Engagement die Integration von Flüchtlingen zumeist recht gut gelingt, wie Viktoria von dem Bussche, die den Abend moderierte, darlegte, sieht Schreiber das Flüchtlingsproblem als nicht gelöst, sondern als „auf unangenehme und unkluge Weise ausgelagert. Der Flüchtlingsdeal bindet uns auf unerfreuliche Weise an die regierende Kaste in Ankara“. Aber auch vor Ort werde es ohne Begegnung mit Deutschen schwierig. „Bei der Integration gehen wir naiv davon aus, dass wir uns nicht verändern. Dort finde keine Begegnung statt, existierten längst ausgeprägte Parallelwelten.

Patronin der Syrer

In seinem Buch skizziert Schreiber auch, wie Deutschland in der arabischen Welt wahrgenommen wird. Beziehungen, wie sie England oder Frankreich aufgrund ihrer Kolonialvergangenheit zum Nahen Osten unterhielten, habe Deutschland nie gehabt. Erst mit der Erstarkung der Taliban, als sich Deutschland plötzlich gezwungen sah, die Freiheit am Hindukush zu verteidigen, sei es in den Fokus der arabischen Welt gerückt. Ebenso als Gerhard Schröder sich seinerzeit dem Irakkrieg verweigerte. Seine Nachfolgerin Angela Merkel sei im Nahen Osten lange mehr als Phantom wahrgenommen worden und erst durch die Flüchtlingskrise zur „Patronin leidender Syrer“ mutiert. Zu einer Wende in dieser positiven Wahrnehmung hätten die Tornado-Aufklärungseinsätze der Bundeswehr gegen den IS geführt, die in weiten Teilen der arabischen Welt nicht als Beitrag zur Befreiung, sondern zu Destabilisierung der Region gesehen würden.

Ziele formulieren

Die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung sieht der Journalist kritisch: „Der Satz ,Wir schaffen das‘ hat mich geärgert. Denn: Wann haben wir was geschafft? Was ist das Ziel? Wann ist jemand integriert?“ Jedes Unternehmen, jeder Mensch, so Schreiber, stecke sich Ziele. Konkrete Ziele zu formulieren aber habe Merkel nie geleistet.

„Es wird nur reagiert“

Und so erteilte er auch einer Frage aus dem Publikum, ob er denn Ideen sehe, die Willkommenskultur zu verstetigen, etwa durch gezielte Einwanderungsgesetze, eine Absage: „So weitsichtig scheint Politik nicht zu laufen.“ Vielmehr bringe die Schnelligkeit der Ereignisse – von Flüchtlingskrise über Brexit bis hin zu Trump – den politischen Apparat an seine Grenzen.

Es werde nur noch reagiert. Leider sei er zu der traurigen Erkenntnis gelangt, dass die Bewältigung der konkreten Aufgaben auf Schultern abgeladen werde, die dafür nicht gemacht seien. Gerade in Wahlkampfzeiten sei das Thema Flüchtlinge für die Kanzlerin „toxisch.“

Grußworte sprachen Daniel Reitel und Faris Al Hamdani vom Verein für Flüchtlingshilfe OK! Bad Essen. Foto: Kerstin Balks
Grußworte sprachen Daniel Reitel und Faris Al Hamdani vom Verein für Flüchtlingshilfe OK! Bad Essen. Foto: Kerstin Balks

 

Marhaba, Flüchtling!, von Constantin Schreiber, ISBN 978-3-455-50411-8, ist erschienen bei Hoffmann & Campe, 176 Seiten, 15 Euro

 

von Kerstin Balks , veröffentlicht am 07.03.2017, mit freundlicher Genehmigung des Wittlager Kreisblattes